„Ein Koch ist wie ein Musiker“

Maria ist im Bella Italia im Stuttgarter Westen die Dirigentin. Moll-Töne läßt sie nicht zu, auch nicht bei anspruchvollen kulinarischen Partituren.

Maria Patané trägt eine schwarze Kochweste mit roten Knöpfen. Sie schaut über die Gläser ihrer weit vorne auf der Nase sitzenden, bügellosen Brille, während sie einen Zug an ihrer Zigarette nimmt. Sie hat die Beine überschlagen. Ihr Fuß wippt zu Ella Fitzgerald mit. „Ein Koch ist wie ein Musiker“ sagt sie. „Wenn ich Lebensmittel sehe, habe ich einen bestimmten Rhythmus im Kopf. Den muss man spüren.“ Und das tut sie, wenn sie in der Küche des “Bella Italias” täglich Neues komponiert. Im Blut und in den Genen hat sie den Rhythmus von ihrem Großvater, dem großen “Gourmet der Familie”. Wenn sie von ihm erzählt, schweift der Blick in die Ferne. Wer ihr zuhört, kann ihn förmlich an einem der Tische mit den weißen Tischdecken, vor sich sitzen sehen.

Ein Mann, stets gekleidet mit feinem Hemd und Hut, aufrecht am Ende des Tisches sitzend, der sein eigenes Besteck schleift und seiner hungrigen italienischen Großfamilie zusieht, wie sie die Riesenschüsseln leert. Jetzt ist sie es, seine Enkelin, die versucht Klasse und Qualität zu wahren. Wo doch das Bewusstsein für diese Werte immer weiter schwinde. Sie nimmt die Mühen auf sich. Sie erinnert sich: Schon in der Kindheit hatte sie schwere Eimer mit Kartoffeln in Milch kilometerweit tragen müssen, um die Schweine zu füttern. Besonders zartes Fleisch war der Lohn.

„Wenn ich Lebensmittel sehe, habe ich einen bestimmten Rhythmus im Kopf. Den muss man spüren“

Auch was Maria in der Schule über Deutschland lernt, prägt sie. Ein Land wie eine Frau mit einem blutgetränktem weißen Rock, erinnert sie sich an die Worte von Bertolt Brecht. Das Bild weckt Marias Interesse. „Am 21 Juli 1971“, sagt sie, ohne eine Sekunde nachdenken zu müssen, „bin ich dann zum ersten mal nach Deutschland gekommen.“ Sie werde das niemals vergessen. 16 Jahre alt ist sie, als sie in ihren Schulferien an einem kleinen Bahnhof am Taunus aussteigt. Vor ihr „ein Paradies“. „Es war so sauber, so ordentlich. Und alles in Blüte, überall Blumen.“ Sie kommt zunächst unter in verschiedenen Gastfamilien, wo sie als Au pair für die Kinder arbeitet. „Eigentlich sollte ich auf sie aufpassen, aber im Grunde war das andersherum.“ Maria lernt Deutsch. Zur Übung soll sie jeden Tag aus der deutschen Zeitung vorlesen. Die Kinder haben sich totgelacht. „Kannst du dir das vorstellen?“, fragt sie. „Schneid, Schneider, Fenster, Fernseher, das waren alles schwierige Wörter.”

Heute ist nichts mehr schwer. “Mariniertes Zackenbarsch-Carpaccio und karamellisierte Seewolfsfilets auf Julienne-Gemüse”- sprachlich und kulinarisch ist Maria auf der Höhe. All das wäre nicht möglich gewesen, ohne dass jemand „sie unter die Arme genommen“ hätte. Es ist ihr Sohn, Lorenzo, dem das Sprachtalent mit Englisch, Italienisch und Deutsch als Muttersprache schon in die Wiege gelegt wird. Er ist es, der ihr immer wieder sagt, “Du schaffst das, du schaffst das, du schaffst das.” Er ermutigt sie, sie ermutigt ihn, denn auch sein Berufswunsch garantiert wenig Sicherheit. Er Schauspieler, sie Gastronomin. Er Sturm der Liebe, sie Seeteufelmedallion. Beide betreiben sie ihr Metier mit Passion.

Die Eigenschaft, die für sie als Pionierin wichtig war auf ihrem Weg zum eigenen Restaurant. Deutschland war Anfang der 80er ein gastronomisches Entwicklungsland. Auf ihren Rückreisen von Italien kauft Maria immer kurz vor der Grenze noch frische Mozzarella oder echten Parmesan. Sie bricht ihre “deutsche Karriere” als Finanzkauffrau ab und eröffnet einen kleines Weingeschäft in der Reinsburgstrasse. Ihr Bekanntenkreis und die Nachfrage wird immer größer, sie kann eine höheren Preis für ihre Degustationen verlangen. Als sie dann gezwungen ist, die damaligen Räume zu verlassen, kommt eine Empfehlung: Vogelsangstraße 18. Aus dem Tip wird eine Idee, dann ein Konzept und 2001 dann das eigene Restaurant. 96 Spiegel sind es genau, die an der Decke des “Bella Italias” das Ergebnis harter Arbeit wiederspiegeln. Arbeit, die wenig honoriert wird. Schauspieler werden oft gefragt, wie sie denn tagsüber ihre Zeit verbringen. Auch bei Gastronomen beschränkt sich der Tag nicht auf den abendlichen Starauftritt. Es sind 12 bis 14 Stunden täglich. Der Applaus dafür zu dürftig. Menschen, die Qualität noch schätzen, seien so rar wie „weiße Mücken“, die es vielleicht noch in Italien gäbe. Deutschland als Kontrast. Das reiche Land, in dem nach wie vor wenig Geld für Essen und Trinken ausgegeben werde. Das Land, in dem ein einfaches Restaurant eine Verwaltungsarbeit habe “wie sonst nur der Daimler”. Mit Umsatz-, Einkommens- und Gewerbesteuererklärungen. Das alles seien deutsche Spezialitäten, sagt sie sarkastisch.

Marias Freizeit richtet sich nach ihrer Leidenschaft. Ihre Lieblingsbeschäftigung: Kochsendungen schauen. Sie findet Genuss an der Rolle als Kritikerin. „Da kann ich mal meckern und sagen, Junge, so macht man das nicht“. Wenn es um Traditionen geht, wird Maria stur. “Deutsche Köche, zum Beispiel, haben nichts am Pesto verloren”, stellt sie klar, ”das soll ein Italiener machen.” Sie zu bekochen ist auch schwierig. Das könne sie selbst meist alles besser, sagt sie, rückt dazu ihre Brille streng zurecht und fängt dann aber doch an, laut zu lachen.

“Deutsche Köche haben nichts am Pesto verloren. Das soll ein Italiener machen”

Dafür, dass manche Dinge besser beim einfachen Alten bleiben sollen, steht Maria ein. Gilt auch für ihre eigene Zukunft. Sie träumt vom Leben am Meer. Davon, morgens mit einem kleinem Boot zu fischen und abends im Garten Gemüse zu pflücken. Aber jetzt ist 19 Uhr. Die ersten Gäste betreten das Restaurant. Maria bindet sich die Haare nach hinten und ihr Auftritt beginnt. Derweil senkt sich hinter den Hausdächern die Sonne. Das schöne Italien ist weit. Aber auch heute Abend ist ein strenger Sinn für Genuss mitten im Stuttgarter Westen zu Hause.