„Ich gebe unheimlich gern“

Ein paar wenige Stichworte genügen Mike Dieterle, um seine ganz persönliche Philosophie als Wirt und die Erfolgsgeschichte der „Auszeit“ zu erzählen.

Allen ein Stück Heimat geben

Es sind schon viele Leute zu mir gekommen und haben gesagt: Toller Laden. Wir wollen auch sowas machen. Was braucht es dazu? Ein bisschen Lebenserfahrung. Mir ist zugute gekommen – und ich kann mich glücklich schätzen – von Beruf bin ich eigentlich Sozialpädagoge. Ich habe Menschenkenntnis, ich kann mit Menschen umgehen. Und ich sage dazu immer: Jetzt als Wirt bin ich noch mehr Sozialpädagoge als vorher. Bei mir kommt der Obdachlose, der jeden Tag sein Bier trinkt und umsonst isst. Ältere Leute, jüngere Leute, VfB-Profis, querbeet. Ich will allen ein Stück Heimat geben.

Und da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Ich bin eigentlich Kinderkrankenpfleger und habe im Kinderkrankenhaus Stuttgart gearbeitet. Dann habe ich Sozialpädagogik studiert. Dann war ich Fahrradkurier, habe immer was Neues gemacht. Dann wollte ich mal nach Neuseeland auswandern. Als das geplatzt war, habe ich gedacht: Und jetzt, was machst Du jetzt? Es waren zwei Freundinnen, die mir dann gesagt haben: Mach doch das, was du immer schon mal machen wolltest. Mach eine Kneipe auf. Und so bin ich hier zu dem Kind gekommen.

Geben – wirklich seliger als Nehmen

Ich habe dabei zwei Grundsätze. Das eine ist ein sehr biblischer Spruch: Geben ist seliger denn Nehmen. Ich habe drei Brüder, wir kommen aus einer Handwerkerfamilie. Der Älteste hat den Betrieb übernommen, so wie sich das gehört hat, in der Generation vor mir. Die älteren Zwei sind beide im Handwerk gefördert worden. Ich hätte ja ein Mädchen werden sollen – und habe dann eine soziale Rolle eingenommen. Einkaufen, der Mutter beim Kochen helfen, in Rötenberg, einem kleinen Schwarzwalddorf bei Alpirsbach. Ich habe da als Kind bei der Lotte eingekauft, im Laden. Die Lotte ist mit über 90 verstorben, wir haben bei ihr immer überdimensional etwas geschenkt bekommen. Nicht nur ein kleines Bonbole – ein Duplo sogar, oder etwas Schokolade. Das hat mich so geprägt, dass mein Grundsatz hier ist: Ich gebe unheimlich gern. Deswegen kommen die Leute auch. Ich will nicht reich werden mit meinem Ding, ich will glücklich sein. Das spüren die Leute und deswegen kommen sie gerne. Und ich gebe das, was ich nicht verkaufe, dann umsonst weg. Natürlich muss ich von etwas leben in meinem Laden. Aber der läuft so gut, dass ich mir das leisten kann.

Nur machen, was Spaß macht

Und der zweite Grundsatz ist: Du musst etwas machen, woran Du Spaß hast. Das ist der wichtigste Weg zum Erfolg. Gerade waren Gäste aus Wien da. Denen habe ich gesagt: Meine Freundin glaubt mir das nicht, wenn ich nach dem Wochenende oder nach dem Urlaub sage, ich gehe gerne wieder in mein Geschäft. Das ist ein Segen, wenn man das sagen kann. Und auch das spüren die Leute.

Das ist auch der Grund, dass ich dann 15 Jahre nicht mehr gewechselt habe. Früher habe ich immer etwas Neues machen müssen. Jetzt habe ich meine Nische gefunden. Das zieht Leute an. 99 Prozent meiner Gäste sind toll. Es haben sich hier Freundschaften entwickelt. Ich habe Kumpels gefunden, die meine Sorgen kennen und was mich so bedrückt. Ich sage es, wie es ist: Das ist wie eine Großfamilie.

Abends Akku aufladen

Jetzt wäre eine tolle Idee und ein Konzept für mich, noch einmal am Abend aufzumachen. Nur mit Flaschenbier, Wein, Vesper. Ich bin mir sicher, die würden mir die Bude einrennen. Wenn Du hier abends manchmal vorbeiläufst, siehst Du den Laden ja schön dekoriert, mit Kerzen und Lichtern. Es würde sich richtig anbieten, abends was zu machen. Aber ich lasse soviel Energie hier liegen, dass ich mir sage: Du machst das nicht. Noch genieße ich die Abende und das Wochenende. Irgendwann muss der Akku ja wieder aufgeladen werden.

Jetzt schaffen ja schon meine Kinder im Laden mit. Vielleicht gibt es dann mal eine Änderung. Zu den Öffnungszeiten, die wir jetzt haben, kam es in einer schicksalhaften Wendung: Mit meinen zwei Kindern, die jetzt im Laden mitmachen, stand ich nach einer Trennung ganz allein da. Und da habe ich beschlossen, etwas zu machen, dass ich sie nicht nur zwischen den Biertischen aufwachsen sehe. So kam es zum Entschluss, den Laden nicht nur tagsüber und werktags aufzumachen. Mit dem Rossi, der damals einen Laden im Gerichtsviertel hatte und dann das Hüftengold gemacht hat, hatten wir beide als erste in Stuttgart die Idee. So wie in Italien sollte es sein. Ich liebe das Land und das Essen dort und ich liebe Kaffee. Etwas wie dort zu haben, wo man am Morgen kurz rein geht, einen Espresso trinkt zwischen Bar und Tür, und dann wieder geht, das war die ursprüngliche Idee. Also war ganz klar: Ich will nur Frühstück und Mittagessen machen und abends will ich zu haben. Abends den letzten Gast rausschmeißen müssen, das bleibt dir erspart, sagen mir die anderen Wirte jetzt.

Bleibt das beste Pferd im Stall?

Ich reise gerne und bringe neue Ideen und Gerichte mit. Das machen die Kinder auch gerne. So kam es dann, dass mein Sohn, um Geld für eine Reise zu verdienen, hier mit geschafft hat. Und da ist er geblieben. Er weiß ja genau, wie es hier zugeht. Dass der Vater zu Hause über den Ärger und das Personal klagt, das kennt er ja von klein auf. Jetzt ist er mein bestes Pferd im Stall, belastbar, überall einsetzbar. Es wäre aber gut, wenn er sich von mir als dominantem Alten etwas freistrampeln könnte. Die Tochter hat es besser hingekriegt, die will studieren und verdient sich das Geld hier, aber nur an zwei Tagen die Woche. Dann macht sie einen Mappenkurs für ein Design-Studium, vielleicht in Schwäbisch Gmünd.

Ich denke, dass der Sohn vielleicht sogar mal den Laden übernehmen will. Aber ich empfehle ihm, dass er rausgeht, um zu lernen. Wir kochen hier sehr gut, aber das Basiswissen muss er anderswo holen. Ich würde mir eine harte Schule für ihn wünschen. Vielleicht beim Klink. Wir sind ein Alternativladen, alles cool hier, Fehler werden verziehen. Ich bin da ambivalent und gespalten. Der Sohn sollte gehen, aber gleichzeitig bin ich so dankbar, dass er da ist. Er hält mir doch den Rücken frei! Wir können uns urlaubsmäßig einteilen. Natürlich freue ich mich, dass er seinen Spaß an der Wirtschaft hat, und das mit Herzblut macht. Jetzt war ich drei Wochen im Urlaub: Er war hier und die Gäste haben ihn in den Himmel gelobt. Er hat sich dann viel freier bewegt. Das ist doch klar!

Rausgleiten, VW-Bus – aber erst viel später

Heute Nacht war ich mit Freunden aus Berlin die halbe Nacht um die Häuser. Da hatten wir das Thema auch. Wie geht es in der Zukunft weiter, auch mit einem selber. Ich hätte da schon noch vor, so zwei Jahre mit einem VW-Buss und der Partnerin um die Welt zu tingeln. Bis 60 habe ich gedacht, mache ich das. Jetzt bin ich 52. Ich kann mir das noch nicht vorstellen, schon in 8 Jahren aufzuhören. Ich habe hier die Wirtin von Willis Ofengabel in der Schwabstraße als Gast, die hat das gemacht, bis der Mann gestorben ist. Ich werde das aber nur machen, solange es Spaß macht. Die Kräfte werden ja auch nachlassen. Heute spüre ich es, wenn ich drei Nächte hintereinander wenig schlafe. Das habe ich früher lockerer weggesteckt. Bis in die Puppen unterwegs sein, das macht jetzt mein Sohn.

Mein Wunsch wäre, langsam rauszugleiten. Nur noch einen Tag die Woche da zu sein, sowas. Aber vielleicht gehe ich nur einmal länger raus, um dann wiederzukommen. Reisen verändert dich und du bringst jedes mal was mit, was du als neue Idee teilen kannst. Ich weiß nicht, es ist ja noch soweit weg.

Jeden Morgen um halb sechs

Aber um halb sechs stehe ich jeden Morgen auf, um einzukaufen. Brezeln habe ich vom weltbesten Bäcker. Ich fahre jetzt drei verschiedene Bäcker pro Morgen an, einen für Brezeln, einen für die Brötchen und einen für die Croissants und Muffins. Das sind schon einige Schlenker jeden morgen. Ich könnte jeden Tag eineinhalb Stunden länger schlafen, wenn ich mir die Sachen liefern lasse. Aber wir haben wenig Lagerkapazität, ich muss also jeden Tag in den Großmarkt zum Einkaufen. Außerdem suche ich mir meine Sachen gerne selber raus und weiß genau, was gut und frisch ist.

Schaffen, einfach viel selber machen

Wie zieht man einen neuen Laden auf? Was ich den Jungen empfehlen würde, das werde ich ja oft gefragt. Ich schaue mir, wenn ich abends platt bin, gerne Sendungen an, auch Kochsendungen. Oder den Restauranttester. Da werden dann Betriebe beleuchtet, wo du nur den Kopf schütteln kannst. Wie naiv Leute da an eine Sache rangehen, ich bin ja selber kein Betriebswirt. Aber ich bilde mir schon was drauf ein, dass ich in Sachen Kalkulation und Planung besser bin als mancher professionell Ausgebildete. Als ich angefangen habe, habe ich mir von meinem Papa 15.000 Euro geliehen. Dann habe ich für 10.000 Euro investiert. Das ist eigentlich nichts. Und dann habe ich mir gesagt, ich geb mir ein halbes Jahr. Wenn es nicht läuft, dann…

Und am Anfang musst Du natürlich die Kosten so gering halten wie möglich. Ich habe hier am Anfang selber geputzt. Wenn deine Idee dann zum Selbstläufer wird, kannst Du natürlich mehr Risiko eingehen, auch bei der Anzahl der Mitarbeiter. Ich bin aus einer “Schafferfamilie” – das heißt selber viel Arbeit übernehmen, selber machen. Mehr als drei oder vier Leute waren wir nie.

Vom ersten Tag an ging es aufwärts. Es hat nach zwei, drei Jahren mal ein wenig stagniert, aber auf hohem Niveau. Das Personal sieht mich jeden Tag mit viel Geld hantieren. Früher kam immer die Standardfrage, die ich aber jetzt zum Glück schon lange nicht mehr gehört habe: Wann bist Du denn Millionär? Die Leute sehen nicht die Kosten, Miete, Strom, Personal. Ich bin ein risiko­freudiger Mensch. Aber ich würde nicht zuviel Kredit auf die Schulter nehmen. Ich halte 50.000 für eine echte Schmerzgrenze. Mehr solltest du nicht aufnehmen. Ja, andere investieren das in ein Auto. Und soviel sollte Dir der Lebenstraum schon wert sein.