„Wir machen einfach gerne“

Tatort und Craft-Bier: Im Stuttgarter Westen haben die Brüder Tomislav und Robert Lovric das „Café Liebreich“ zum zweiten Wohnzimmer ihrer multikulturellen Nachbarschaft gemacht.

Wenn Tomislav Lovric’s alte orangene Vespa auf dem Bürgersteig der Rotebühlstraße parkt, wird man auch ihn dort finden. Und das ist meistens. So oft, wie er es sich als Student nie hätte träumen lassen. Mit verschränkten Armen und entspannt lehnt Tomislav Lovric hinter dem Tresen seines eigenen Cafés. „Zur Gastronomie sind wir eher wie die Jungfrau zum Kind gekommen“, beginnt er zu erzählen.

Angefangen hat alles im “Max-Kade”, dem durch seine Dachterrassen-Partys legendären Stuttgarter Studenten-Wohnhochhaus. Wenn Tomislav an vergangene Nächte dort über Stuttgarts Dächern denkt, schleicht sich ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht. Da sind schon noch ein paar Schatten unter seinen Augen. Auch vergangene Nacht war er wieder dort, aber nur als Partygast. Aber während seiner Studienzeit war er dort zwei Jahre der Boss, der Leiter des dreiköpfigen Gastroteams im Heim.

„Zur Gastronomie sind wir eher wie die Jungfrau zum Kind gekommen“

Gemerkt hat sich Tomislav nicht nur die praktischen Lektionen in Gastronomie, sondern auch die Botschaft der BWL-Professoren. In seinem sonst sehr “trockenen” Studium sei er einer der Wenigen gewesen, die “verstanden hätten, was Unternehmertum bedeutet”, sagt er, streicht bedächtig seinen Bart und verzwirbelt ihn am Kinn.

Gemeinsam mit seinem Bruder Robert beginnt er im Jahr 2001, Kaffee zu vertreiben. Ein Job, der ihm eine Kundschaft beschert, die hauptsächlich aus anderen Gastronomen besteht. Dabei entsteht Tomislavs Idee, einmal ein eigenes Café zu öffnen. Er verwirklicht sie, als einer der Wirte ihm vorschlägt, gemeinsam einen Ableger von dessen Café aufzumachen.

Das war der Einstieg in die Gastronomie – etwas, das er heute als “eine Sucht” bezeichnet: “Wenn man einmal drin ist, will man nie wieder aufhören.”

Idee trifft Realität: Als sie dann schließlich begannen, die Räume für das geplante Café zu renovieren, gab es die ersten Schwierigkeiten. Simple Dinge beim Bau, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Den Partner der Lovric-Brüder verließ das gute Bauchgefühl. Und er seine beiden Partner.

Das kroatischen Brüderpaar behielt die Nerven und die angestammte Gelassenheit. Sie entschieden sich, das Café als Team zu führen. “Wir sind einfach keine Typen, die Zeit für lange Zweifel haben”, sagt Tomislav. “Wir machen einfach gerne.“

Skeptisch standen hingegen die Eltern den Plänen der Söhne gegenüber. Zumindest anfangs. „Die schlagen grundsätzlich immer erstmal die Hände über‘m Kopf zusammen. Das schlägt aber dann Gott sei Dank schnell um in Stolz und Freude.” Und wird zu leckerem hausgemachtem Käsekuchen, den die Mutter der zwei Brüder für das Liebreich backt. “So ist das in Kroatien eben.”

Aufgewachsen im Stuttgarter Osten war der Westen für Tomislav immer ein Ort der Sehnsucht. „Ich mag die Menschen hier drüben.“ So nahe an der Stadtmitte und der S-Bahn hatten sie gehofft, dass das Café auch morgens schon ein Anlaufpunkt sein könnte. Das hat nicht geklappt. Tomislav bleibt gelassen: „Da kannst du planen wie du willst, am Ende kommt sowieso alles anders.“

Statt für Orangensaft zum Frühstück kommen die Gäste lieber abends für ein frisch gezapftes Bier. Das Ziel der Brüder: Ein Wohnzimmer für Menschen zu schaffen. Mit Erfolg, denn tatsächlich tauschen viele Menschen die eigene Couch gern gegen die Couchmöbel, die im Nebenzimmer des Liebreich stehen.

Es sind auffallend viele junge britische und spanische Expats aus dem multikulturellen Westen, die das Liebreich als Treffpunkt außerhalb der eigenen Wohnung entdeckt haben. Es ist spürbar lauter geworden an den großen Tischen im Vorderraum des Liebreich. Aus der Küche kommen auch ansehnlich große Portionen mediterran angehauchter Klassiker, Schwertfisch vom Lavagrill, handgemachte Nudeln mit kräftigem Ragout. Die Brüder haben auch die Idee, irgendwann die kroatische Hochküche salonfähig zu machen und Stuttgart endgültig vom unverarbeiteten Trauma der “Jugo-Küche” zu befreien.

„Da kannst du planen wie du willst, am Ende kommt sowieso alles anders“

An der Bar im Liebreich steht ziemlich oft Robert. Mit seinem profunden gastro­nomischem und historischem Wissen steht er gerne für Anfragen aller Art zur Verfügung. Wo der Schlüssel für die benachbarte Hotelpension “Xenia”, deren Frühstücksraum das Liebreich einst war, hinterlegt werden könne. Ob er den Link zu den coolen französischen Chansons verraten könne. Ob es stimme, dass der beste Kaffee im italienischen Triest ge­röstet werde. Warum die kroatischen Kovac-Brüder bei der Eintracht Frankfurt auf einmal so erfolgreich wären. Robert kann nichts aus der Fassung bringen.

Auch nicht der Sonntagabend. Denn dann ist das Liebreich ganz voll. Tomislav hält das für naheliegend: “Hier bei uns ist der Kühlschrank noch voller als zu Hause. Und das Bier ist kälter.” Aber es gibt es im Liebreich eben auf der großen Leinwand auch noch den Tatort zu sehen. Der kommt dort, wenn man will, zusammen mit sorgfältig zubereiteten Hamburgern und rötlich leuchtendem Craft-Bier aus Berlin.

Das Tatort-Viewing war Roberts Idee. Auch wenn sich die beiden Brüder “gut ergänzen”, sind sie doch “unterschiedlich”. „Ich war komplett dagegen. Ich gucke doch keinen Tatort“, gibt Tomislav zu. Inzwischen schaue er doch manchmal. Er hat sogar seine Favoriten : Münster, Stuttgart natürlich. Und die Schauspielerin Nora Tschirner, die ihn wohl nicht nur wegen ihrer schauspielerischen Fähigkeiten zu beeindrucken scheint.

„Trotzdem, wenn ich Sonntags frei hätte, würde ich zu Hause bleiben.“ Doch das wird hoffentlich für die beiden Brüder im Liebreich keine Option sein. Die orangene Vespa wird noch bis nach Mitternacht auf dem Bürgersteig warten müssen.